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Charlotte von Mahlsdorf

Fast alles an ihr ist merkwürdig und seltsam entrückt – couragiert geht sie ihren Weg durch zwei Diktaturen und lebt ein Leben im gesellschaftlichen Abseits. Nach dem Fall der Mauer wird Charlotte von Mahlsdorf zum gesamtdeutschen Ereignis, sie erzählt in Talkshows ihre Geschichte und Tausende pilgern zu ihren Lesungen – dabei will sie nie etwas anderes sein als ein ordentliches Dienstmädchen

Charlotte von Mahlsdorf kommt als Lothar Berfelde am 18. März 1928 in Berlin-Mahlsdorf zur Welt – der Sohn von Max und Gretchen Berfelde interessiert sich bereits als Kind für Mädchenkleider und Antiquitäten und fühlt sich so lange er denken kann als Mädchen. Er hilft als Jugendlicher einem Kreuzberger Trödelhändler dabei, Wohnungen auszuräumen, wobei er einzelne Stücke für sich erwirbt.

Nach der Scheidung der Eltern kommt es zwischen Lothar und seinem Vater – einem überzeugten Nationalsozialisten – immer öfter zum Streit. Schließlich erschlägt Lothar nach einer Auseinandersetzung seinen Vater im Schlaf mit einem Nudelholz. Er verbringt einige Wochen in der Psychiatrie und wird dann von einem Berliner Gericht als „asozialer Jugendlicher“ zu vier Jahren Jugendgefängnis verurteilt.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges arbeitet Lothar Berfelde als Trödler und kleidet sich zunehmend weiblicher – aus Lothar wird Lottchen, welche Männer liebt und später zur stadtbekannten Figur „Charlotte von Mahlsdorf“ wird. Sie beginnt Haushaltsgegenstände zu sammeln, rettet aus zerbombten Häusern historische Alltagsgegenstände und gründet 1959 im vom Abriss bedrohten Gutshaus Mahlsdorf das heute über die Stadt hinaus bekannte Gründerzeitmuseum.

Mit Fleiß und Hartnäckigkeit rettet die einfallsreiche Charlotte von Mahlsdorf unter anderem mit der „Mulackritze“ die letzte komplett erhaltene Berliner Kneipe aus dem Scheunenviertel und richtet sie im Museum im Originalzustand wieder ein. Dessen nostalgisches Interieur erlangt bald überregionale Bekanntheit in Künstlerkreisen, ab den siebziger Jahren finden dort in regelmäßigen Abständen Treffen der Ost-Berliner Gay-Community statt. 1972 wird das alte Gutshaus unter Denkmalschutz gestellt und 1974 kündigen die DDR-Behörden an, das Museum zu verstaatlichen, worauf Charlotte von Mahlsdorf beginnt, ihren Besitz an die Besucher zu verschenken – 1976 kann die Verstaatlichung abgewendet werden.

1992 erhält Charlotte von Mahlsdorf das „Bundesverdienstkreuz“, im gleichen Jahr erscheint ihre Biographie „Ich bin meine eigene Frau“. 1992 überfallen Neonazis eines der Feste auf dem Gutshof – die Museumsgründerin entschließt sich daraufhin nach Schweden auszuwandern und gründet dort mit wenig Erfolg ein neues Jahrhundertwende-Museum. Die im Gutshaus Mahlsdorf verbliebenen Bestände werden durch die Stadt Berlin erworben – 1997 wird das Museum wiedereröffnet. Heute beherbergt Charlotte von Mahlsdorfs Gründerzeitmuseum die umfangreichste und vollständigste Sammlung von Gegenständen der Gründerzeit. 2008 beginnt die Sanierung des Gebäudes unter dem persönlichen Engagement des damaligen Berliner Bürgermeisters Klaus Wowereit.

Charlotte von Mahlsdorf stirbt am 30. April 2002 im Alter von vierundsiebzig Jahren in Berlin an Herzversagen – sie wird auf dem Waldfriedhof in Berlin-Mahlsdorf neben ihrer Mutter beigesetzt.

Anlässlich des ersten Todestages setzt der Förderverein „Gutshaus Mahlsdorf“ im Gutspark einen Gedenkstein für Charlotte von Mahlsdorf.

Der Filmemacher Rosa von Praunheim verfilmt 1992 Charlotte von Mahlsdorfs Biografie in „Ich bin meine eigene Frau“. Für das Theaterstück „I Am My Own Wife“ – das sich an die Biografie von Charlotte von Mahlsdorf anlehnt – erhält der amerikanische Autor Doug Wright 2004 den „Pulitzer-Preis“, einen „Tony Award“ und 2006 den „Kulturpreis Europa“. Die deutsche Fassung des Stücks wird 2007 unter dem Titel „Ich mach ja doch, was ich will“ am Berliner Renaissance-Theater uraufgeführt.