Als Enfant terrible des deutschen Kulturbetriebs und Regisseur, Aktionskünstler und Talkmaster zählt Christoph Schlingensief jahrelang zu den gefragtesten Kulturschaffenden des Landes. Mit seinen Filmen und Bühneninszenierungen polarisiert er bewusst und provoziert mit Vorliebe die deutsche Elite – er arbeitet an den großen deutschsprachigen Bühnen und inszeniert bei den Wagner-Festspielen in Bayreuth einen höchst umstrittenen „Parsifal“
Christoph Maria Schlingensief kommt am 24. Oktober 1960 als Sohn eines Apothekers und einer Kinderkrankenschwester im rheinischen Oberhausen zur Welt. Geprägt wird er unter anderem von seinem Einsatz in der Katholischen Jugend und als Ministrant. Schon früh veranstaltet er im Keller seiner Eltern sogenannte „Kulturabende“, wo damals noch unbekannte Künstler wie Helge Schneider oder Theo Jörgensmann auftreten. Schon im Alter von zwölf Jahren beginnt Christoph Schlingensief mit Schmalfilmen zu experimentieren.
Nach dem Abitur am Oberhausener Heinrich-Heine-Gymnasium studiert Christoph Schlingensief ab 1981 in München Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte. In dieser Zeit versucht er sich als Musiker und startet seine Karriere als Filmregisseur – als Assistent von Werner Nekes produziert er seine ersten Kurzfilme sowie den ersten Spielfilm „Tunguska – Die Kisten sind da“ (1983).
Nach einem Lehrauftrag an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach und an der Kunstakademie Düsseldorf macht Christoph Schlingensief von 1986 bis 1987 die nach eigenen Angaben „grauenvolle Erfahrung“ als erster Aufnahmeleiter der TV-Serie „Lindenstraße“. Danach produziert er das Fernsehspiel „Schafe in Wales“ und dreht einige Spielfilme wie „100 Jahre Adolf Hitler“ (1989) mit Udo Kier und Margit Carstensen, den Kultfilm „Das deutsche Kettensägenmassaker“ (1990) sowie „Terror 2000“ (1992) – womit er bundesweite Bekanntheit erlangt.
Als Theaterregisseur macht Christoph Schlingensief 1993 mit dem Stück „100 Jahre CDU – Spiel ohne Grenzen“ an der Berliner Volksbühne von sich reden. 1994 inszeniert er dort das Stück „Kühnen ’94 – Bring mir den Kopf von Adolf Hitler“ sowie „Rocky Dutschke, 68“, in welchem er Behinderte, Arbeitslose und Ausländer als Laiendarsteller auf die Bühne holt.
1997 wird Christoph Schlingensief wegen eines Schildes mit der Aufschrift „Tötet Helmuth Kohl“ bei seiner Kunstaktion „Mein Filz, mein Fett, mein Hase“ auf der Documenta in Kassel von der Polizei festgenommen. Im selben Jahr gründet er die Partei „Chance 2000“ und zieht mit ihr in den Bundestagswahlkampf. Höhepunkt der Politaktion ist die Einladung an alle vier Millionen deutsche Arbeitslose, gleichzeitig im Wolfgangsee zu baden, ihn zum Überlaufen zu bringen und dadurch das Urlaubsdomizil von Helmut Kohl zu fluten. Dies ist für den damaligen Bürgermeister von Salzburg Grund genug, die Aktion zu verhindern. Die Partei „Chance 2000“ erreicht bei der Bundestagswahl 1998 0,058 Prozent der Stimmen. Im selben Jahr folgen weitere aufsehenerregende Aktionen wie das Missions-Projekt für Junkies und Obdachlose am Hamburger Hauptbahnhof.
In seiner achtfolgigen Talkshow „Talk 2000“ interviewt Christoph Schlingensief 1997 je zwei Prominente – unter anderem sind Hildegard Knef, Beate Uhse, Harald Schmidt, Ingrid Steeger und Gotthilf Fischer zu Gast.
2000 installiert Christoph Schlingensief im Rahmen der Wiener Festwochen einen Container, der als Vorbild die Fernseh-Show „Big Brother“ hat und in dem sich Asylsuchende befinden. Durch Abstimmungen kann das Publikum entscheiden, welcher Teilnehmer den Container und das Land verlassen muss. Das Projekt wird unter dem Namen „Ausländer raus! Schlingensiefs Container“ bekannt.
Mit seinem „Parsifal“, den Christoph Schlingensief in Bayreuth anlässlich der Richard-Wagner-Festspiele 2004 auf die Bühne bringt, erntet er nicht nur Kritikerlob – er thematisiert in der Inszenierung den Voodoo-Kult und lässt einen Großteil des Publikums und der Kulturkritik ratlos zurück.
Christoph Schlingensief wird 2005 mit dem „Filmpreis der Stadt Hof“ ausgezeichnet. Der Preis wird erstmals 1986 im Rahmen der Hofer Filmtage verliehen.
2009 ist Christoph Schlingensief Jurymitglied der Berlinale, im selben Jahr wird er vom niedersächsischen Kulturminister für die nächsten fünf Jahre auf die Professur für „Kunst in Aktion“ an die Hochschule für Bildende Künste Braunschweig berufen. Auch arbeitet Christoph Schlingensief an seinem Opern-Projekt Festspielhaus Afrika im westafrikanischen Ouagadougou/Burkina Faso wo 2010 der Grundstein gelegt wird. Für 2011 plant Christoph Schlingensief den deutschen Pavillon bei der Biennale von Venedig zu gestalten – der Maler Gerhard Richter wendet sich daraufhin mit scharfen Worten gegen die Berufung.
Kritiker bezeichnen Christoph Schlingensief gerne als einen der letzten Moralisten unter den deutschen Theatermachern, der nicht um der Provokation willen provoziere, sondern trotzig wie ein Kind und starrsinnig wie ein Weiser auf die herrschenden Verhältnisse aufmerksam macht. Andere werfen dem Multitalent „Provokation um der Provokation willen“ vor – ihm gehe es schon lange nicht mehr um Erkenntnis, Sichtung und Licht.
2009 heiratet Christoph Schlingensief seine langjährige Lebensgefährtin, die Kostümbildnerin Aino Laberenz.
Christoph Schlingensief stirbt am 21. August 2010 an den Folgen eines Krebsleidens.