Er gehört jahrelang zu den führenden deutschen Intellektuellen und verkörpert als kritischer Zeitbeobachter jahrelang die moralische Instanz des Landes – Günter Grass mischt sich immer wieder in die tagesaktuelle Debatte ein und wird für sein Lebenswerk mit dem Literatur-Nobelpreis ausgezeichnet
Günter Grass kommt am 16. Oktober 1927 im Danziger Stadtteil Langfuhr zur Welt – das heute polnische Gdańsk steht damals als Freie Stadt unter einem Mandat des Völkerbundes. Als Sohn eines protestantischen Lebensmittelhändlers und einer kaschubisch-stämmigen Katholikin wächst er zusammen mit seiner Schwester Waltraut in einfachen und behüteten Verhältnissen in der Ostseestadt auf und besucht dort von 1933 bis 1944 die Volksschule und das Gymnasium. Durch seine katholische Mutter geprägt wird er als Junge Messdiener.
Schon früh gerät Günter Grass in den Einfluss der NS-Ideologie, mit fünfzehn Jahren meldet er sich – auch um der familiären Enge zu entkommen – freiwillig zur Wehrmacht. Er wird zunächst als Flak-Helfer eingesetzt und mit siebzehn Jahren zur Waffen-SS einberufen. Die Mitgliedschaft bei der Waffen-SS wird erst 2006 bekannt und führt in Deutschland zu heftigen Kontroversen. Nach einer Verwundung wird Günter Grass 1945 gefangengenommen und erlebt das Kriegsende in amerikanischer Kriegsgefangenschaft.
Gegen Ende der vierziger Jahre absolviert Günter Grass in Düsseldorf ein Steinmetzpraktikum, wo er sein kreatives Potential entdeckt. Von 1948 bis 1956 studiert er zunächst an der Düsseldorfer Kunstakademie und danach an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin Grafik und Bildhauerei. Nach einem einjährigen Paris-Aufenthalt lebt Günter Grass von 1960 bis 1972 im damaligen West-Berlin und danach bis 1987 im schleswig-holsteinischen Wewelsfleth.
Nach ersten Ausstellungen seiner Plastiken und Grafiken beginnt Günter Grass ab 1956 mit Prosa, Gedichten und Theaterstücken schriftstellerisch aktiv zu werden. Nachdem 1956 sein erstes Buch – der Gedichtband „Die Vorzüge der Windhühner“ – erscheint, gelingt ihm 1958 im Alter von einunddreißig Jahren mit „Die Blechtrommel“ der literarische Durchbruch. In dem historischen Roman thematisiert Günter Grass die kollektive Verdrängung der Nazi-Zeit sowie deren mangelnde Aufarbeitung durch die deutsche Bevölkerung. 1979 wird das Buch von Volker Schlöndorff verfilmt und ein Jahr später mit einem „Oscar“ als „Bester fremdsprachiger Film“ ausgezeichnet. „Die Blechtrommel“ ist mit „Katz und Maus“ (1959) und „Hundejahre“ (1963) Teil von Günter Grass’ Danziger Trilogie.
Das Werk von Günter Grass wird heute als bedeutender Teil des literarischen Kanons betrachtet – in den vergangenen fünf Dekaden schreibt der Autor zahlreiche Dramen, Romane, Novellen und Erzählungen, darunter „Die Plebejer proben den Aufstand“ (1966), „Örtlich betäubt“ (1969), „Aus dem Tagebuch einer Schnecke“ (1972), „Der Butt“ (1977), „Das Treffen in Telgte“ (1979), „Kopfgeburten oder Die Deutschen sterben aus“ (1980), „Die Rättin“ (1986), „Unkenrufe“ (1992), „Ein weites Feld“ (1995), „Mein Jahrhundert“ (1999), „Im Krebsgang“ (2002), „Beim Häuten der Zwiebel“ (2006), „Unterwegs von Deutschland nach Deutschland“ (2009) und „Grimms Wörter. Eine Liebeserklärung“ (2010).
1999 wird Günter Grass im Alter von zweiundsiebzig Jahren für sein Lebenswerk mit dem „Nobelpreis für Literatur“ ausgezeichnet – das Nobel-Komitee begründet die Vergabe damit, das er in „munterschwarzen Fabeln das vergessene Gesicht der Geschichte gezeichnet hat.“
In den sechziger und siebziger Jahren beteiligt sich Günter Grass aktiv an den Wahlkämpfen für Willy Brandt, seit 1982 ist er SPD-Mitglied – Willy Brandts berühmte Aussage „Mehr Demokratie wagen“ stammt angeblich von ihm. In der SPD macht er sich nicht nur Freunde – unter anderem, weil er sich 1990 gegen eine schnelle deutsche Wiedervereinigung ausspricht. Nach zehn Jahren verlässt Günter Grass die Partei wegen derer umstrittener Asylpolitik.
Günter Grass engagiert sich zeitlebens für zahlreiche soziale und politische Belange – unter anderem kämpft er gegen Atomkraft und setzt sich für gleiche Rechte und Pflichten bei Lebenspartnerschaften, für eine Anerkennung des Völkermordes an den Armeniern durch die Türkei sowie gegen die Diskriminierung von Sinti und Roma ein.
2012 veröffentlicht Günter Grass in verschiedenen Tageszeitungen die politischen Gedichte „Was gesagt werden muss“ und „Europas Schande“ – die darin enthaltene Israel-Kritik wird dem Schriftsteller als Antisemitismus ausgelegt und führt in Deutschland zu aufgeheizten Debatten. Im selben Jahr wird Günter Grass – offiziell aufgrund seiner ehemaligen Mitgliedschaft in der Waffen-SS – mit einem Einreiseverbot in Israel zur unerwünschten Person erklärt.
Günter Grass ist seit 1968 Mitglied und seit 2009 Ehrenpräsident des deutschen PEN-Zentrums. 1996 unterzeichnet er die „Frankfurter Erklärung zur Rechtschreibreform“ – bis zu seinem Lebensende verwendet er die traditionelle deutsche Rechtschreibung.
Günter Grass erhält im Laufe seines Lebens zahlreiche Auszeichnungen – darunter 1958 den „Literaturpreis des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft“, 1965 den „Georg-Büchner-Preis“, 1967 die „Carl-von-Ossietzky-Medaille“, 1968 den „Fontane-Preis“, 1969 den „Theodor-Heuss-Preis“, 1994 den „Großen Literaturpreis“ der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, 1995 die „Hermann-Kesten-Medaille“, 1996 den „Thomas-Mann-Preis“ der Stadt Lübeck und 1999 den spanischen „Prinz-von-Asturien-Preis“. Auch ist er Ehrendoktor des Kenyon College, der Harvard University, der Adam-Mickiewicz-Universität in Posen, der Universität Danzig, der Universität Lübeck und der Berliner Freien Universität. Seit 1993 ist Günter Grass Ehrenbürger seiner Geburtsstadt Danzig, die 2009 ein Günter-Grass-Museum eröffnet und 2013 rangiert er auf einer Liste des Kulturmagazins Cicero auf dem ersten Rang der führenden fünfhundert Intellektuellen des deutschsprachigen Raumes.
Günter Grass ist zweimal verheiratet und hat sechs Kinder – aus der Ehe mit der Tänzerin Anna Schwarz, die von 1954 bis 1978 dauert, gehen die Kinder Franz, Raoul, Laura und Bruno hervor. Mit der Architektin und Malerin Veronika Schröter hat Günter Grass Tochter Helene und mit der Lektorin Ingrid Krüger Tochter Nele. 1979 heiratet Günter Grass die Organistin Ute Grunert, die zwei Söhne mit in die Ehe bringt.
Günter Grass lebt heute in der Nähe von Lübeck – wo sich das Günter-Grass-Haus mit dem überwiegenden Teil seiner literarischen und künstlerischen Originalwerke befindet.
2013 kündigt Günter Grass an, wegen seines hohen Alters keinen neuen Roman mehr zu schreiben und sich aus dem literarischen Betrieb zurückzuziehen.
2014 prangert Günter Grass zusammen mit anderen namhaften Schriftstellern in einem offenen Brief an den russischen Ministerpräsidenten Wladimir Putin in der britischen Tageszeitung „The Guardian“ die in Russland geltenden Anti-Homosexuellen-Gesetze sowie die dortige Nichteinhaltung der Meinungsvielfalt an.
Günter Grass stirbt am 13. April 2015 im Alter von siebenundachtzig Jahren in einem Lübecker Krankenhaus. Bundespräsident Joachim Gauck würdigt ihn als großen Autor und streitbaren politischen Geist: “Sein Werk ist ein beeindruckender Spiegel unseres Landes und ein bleibender Teil seines literarischen und künstlerischen Erbes“.