Er ist Träumer, Fantast und Wanderer zwischen den Welten, in seinen Werken mischt er russische Volkskunst und jüdische Mystik und gestaltet mit seiner surrealen Bildsprache Kirchenfenster, Theaterkulissen und seine weltberühmten Bibel-Illustrationen – Marc Chagall zählt zu den bedeutendsten Expressionisten des zwanzigsten Jahrhunderts
Marc Chagall wird als Moische Chazkelewitsch Schagalow am 7. Juli 1887 im Dorf Liosno nahe der heute weißrussischen Kleinstadt Witebsk geboren – als ältestes von neun Kindern einer orthodox-jüdischen Familie wächst er in ärmlichen Verhältnissen auf. Sein Vater Sachar arbeitet in einer Fischfabrik und seine Mutter Feige-Ita betreibt einen Lebensmittelladen. Er besucht in Witebsk die Schule und nimmt nebenher Musikunterricht – 1907 geht er in die damalige russische Hauptstadt St. Petersburg, um eine Ausbildung zum Künstler zu absolvieren. Da er die Aufnahmeprüfung an der dortigen Kunstakademie nicht besteht, beginnt er 1907 eine Ausbildung an der Schule der „Kaiserlichen Gesellschaft zur Förderung der Künste“ sowie an einer Privatschule in Saidenerg.
1910 reist Marc Chagall nach Paris, wo er mit dem Erlös aus dem Verkauf zweier Bilder und einem kleinen Stipendium ein Atelier mietet – in der französischen Hauptstadt entstehen die bekannten Bilder „Liegender weiblicher Akt“ und „Roter Akt“. Paris ist in jener Zeit das Mekka zahlreicher Künstler und Anziehungspunkt der internationalen Bohème – Marc Chagall ist besonders vom Licht der Stadt und der ungewohnten Freizügigkeit angetan. Er nennt die französische Hauptstadt auch „La ville lumière“ („Die Lichtstadt“), der Eiffelturm taucht als Symbol der Freiheit immer wieder in seinen späteren Werken auf. Er schließt Freundschaft mit Künstlern wie Guillaume Apollinaire, Max Jacob, Blaise Cendrars, Robert Delaunay, Albert Gleizes, Fernand Léger und Amedeo Modigliani und besucht Galerien und Museen, wo er erstmals die Originale von Paul Gauguin, Henry Matisse, Vincent van Gogh und anderen bekannten Malern sieht.
1911 versucht Marc Chagall sich erstmals im Kubismus – für ihn die Sprache, in welcher sich die Magie der Welt ausdrücken lässt, es entstehen die Bilder „Intérieur II“ und „Meiner Braut gewidmet“. In seiner Pariser Zeit ist Marc Chagall von chronischen Geldsorgen geplagt, er entdeckt für sich das preiswerte Malen mit Gouache – in jenen Jahren entstehen Hunderte von Gouachen. Durch Vermittlung des deutschen Kunsthändlers Herwarth Walden hat Marc Chagall 1914 in Berlin seine erste Einzelausstellung.
1915 heiratet Marc Chagall in seinem Heimatort Witebsk seine Jugendliebe Bella Rosenfeld – 1916 wird die gemeinsame Tochter Ida geboren. Wegen des Ersten Weltkrieges kann er nicht nach Frankreich zurückkehren und lässt sich mit seiner Familie in St.Petersburg nieder. Von der Februarrevolution 1917 ist Marc Chagall zunächst begeistert, er versucht am revolutionären Umbruch in Russland mitzuwirken. 1919 wird er zum Kommissar für „Schöne Künste“ ernannt, im gleichen Jahr gründet er in Witebsk eine Kunstschule und erteilt Kunstuntericht – auch nimmt er an der „Ersten Staatlichen Ausstellung revolutionärer Kunst“ teil, die neue sowjetrussische Regierung erwirbt zwölf seiner Bilder.
1920 tritt Marc Chagall nach internen Streitigkeiten von der Leitung der Kunstakademie zurück und zieht 1922 nach einem Zwischenstopp in Moskau – wo die Familie sich nur mit Mühe und Not über Wasser halten kann – nach Berlin. In seiner russischen Heimat passt Marc Chagalls Kunst inzwischen nicht mehr zur offiziellen Ideologie. In Berlin verkauft er einige seiner vor dem Ersten Weltkrieg zurückgelassenen Bilder und begibt sich mit dem Erlös zurück nach Paris, wo eine seiner produktivsten Perioden beginnt. 1924 veranstaltet Marc Chagall seine erste Retrospektive, 1926 stellt er das erste Mal in New York aus. Schon bald hat er keine finanziellen Sorgen mehr und die Familie zieht in eine geräumige Villa.
1931 beginnt Marc Chagall mit seinen weltberühmten Bibel-Illustrationen, er reist dafür nach Palästina, um sich vor Ort mit den Landschaften der biblischen Welt vertraut zu machen – insgesamt arbeitet er bis 1956 an den Bibel-Motiven. Auf einer Reise durch Polen wird Marc Chagall 1935 erstmals mit der Bedrohung der jüdischen Welt durch die deutschen Nationalsozialisten konfrontiert – seine Eindrücke im Warschauer Ghetto hinterlassen tiefe Spuren bei ihm und schlagen sich noch Jahre später in seinen Bildern nieder, unter anderem im Bild „Die Synagoge in Wilna“. 1937 werden neunundfünfzig seiner Werke in der Münchner Ausstellung „Entartete Kunst“ gezeigt, 1938 malt Marc Chagall als Ausdruck seines Entsetzens über die Judenverfolgung und den auch in Frankreich entflammten Antisemitismus das Bild „Weiße Kreuzigung“.
Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges zieht Marc Chagall zunächst mit seiner Familie ins südfranzösische Gordes, 1941 begibt er sich – mit einer Einladung des New Yorker „Museum Of Modern Art“ – in die USA, wo er sich in New York niederlässt. Dort widmet er sich verstärkt der Kunst seiner russischen Heimat, auch ist er als Bühnenbildner bei den Aufführungen von Peter Tschaikowskys Ballett „Aleko“ und Iwor Strawinskis Ballett „Der Feuervogel“ tätig.
1944 stirbt Marc Chagalls Frau Bella – der Künstler verfällt in eine Depression und ist monatelang unfähig zu malen. 1945 geht er mit der knapp dreißig Jahre jüngeren Virginia Haggard McNeil eine Beziehung ein – 1946 wird der gemeinsame Sohn David McNeil geboren. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges begibt sich Marc Chagall erneut nach Paris, wo Bilder wie „Pont Neuf“, „Die Ufer der Seine“, „Quai mit Blumen“, „Green Dream“, „Die schöne Rothaarige“, „Selbstbildnis mit Wanduhr“, „Der gehäutete Ochse“, „Die Auferstehung am Flussufer“ und „Die Liebenden an der Brücke“ entstehen. Seine 1946 im „Museum Of Modern Art“ sowie ein Jahr später im Pariser „Musée Nationale d`Art Moderne“ stattfindenden Ausstellungen festigen seinen Ruf als einen er führenden Künstler der Avantgarde. 1948 verlässt er mit seiner Familie die USA und lässt sich 1949 endgültig im südfranzösischen Saint-Jean-Cap-Ferrat an der Côte d’Azur nieder. 1952 trennt er sich von seiner Frau und heiratet noch im selben Jahr die Russin Walentina Brodsky.
Berühmt ist Marc Chagall für die Ausstattungen zahlreicher öffentlicher Gebäude, er verschönert Theater, Synagogen und Kirchen – unter anderem die Kathedrale im französischem Metz, die Kathedrale von Reims, die Mainzer Pfarrkirche St. Stephan und den Mainzer Dom, eine Kirche in Plateau-d’Assy in Savoyen, das Foyer des Frankfurter Schauspielhauses, die Jerusalemer Synagoge der Hadassah-Universitätsklinik, die „First National Bank“ in Chicago, Fenster im New Yorker UN-Hauptquartier, Wandfelder im israelischen Parlamentsgebäude in Jerusalem und in der New Yorker Metropolitan Opera sowie die Decke der Pariser Oper.
1973 wird in Nizza das „Musée National Message Biblique Marc Chagall“ als einziges Nationalmuseum in Frankreich zu Ehren eines lebenden Künstlers eröffnet. Zum achtzigsten Geburtstag von Marc Chagall finden in mehreren Städten Retrospektiv-Ausstellungen statt.
Marc Chagall stirbt am 18. März 1985 im Alter von siebenundneunzig Jahren im südfranzösischen Saint-Paul-de-Vence – er wird auf dem dortigen Friedhof beigesetzt.