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Ralph Giordano

Er setzt sich für Minderheiten ein, engagiert sich gegen Unterdrückung und rechtes Gedankengut und avanciert durch seine kompromisslose Auseinandersetzung mit den totalitären Ideologien des vergangenen Jahrhunderts zum kritischen Beobachter und Kommentator der deutschen Zeitgeschichte – Ralph Giordano erlangt durch seine eindrucksvolle autobiografische Familien-Saga „Die Bertinis“ landesweite Berühmtheit und gilt jahrzehntelang als einer der einflussreichsten Intellektuellen Deutschlands

Ralph Giordano wird am 20. März 1923 im Hamburger Stadtteil Barmbek geboren – er ist der Sohn eines Pianisten und einer jüdischen Klavierlehrerin, sein Großvater Rocco stammt aus Sizilien. Als Siebzehnjähriger muss er 1940 aufgrund der Nürnberger Rassegesetze noch vor dem Abitur das renommierte humanistische Gymnasium Johanneum im Hamburger Stadtteil Winterhude verlassen.

Während des Nationalsozialismus ist Ralph Giordanos Familie zahlreichen Diskriminierungen und Verfolgungen ausgesetzt – als seiner Mutter die Deportation droht geht seine Familie in den Untergrund. Gemeinsam mit seinen beiden Brüdern und den Eltern überlebt er bis zur Befreiung durch die Briten in einem Keller in Hamburg-Alsterdorf, welcher der Familie von einer couragierten Hamburgerin zur Verfügung gestellt wird. In seiner Autobiographie schreibt Ralph Giordano später: „Die Befreiung von der Angst vor dem jederzeit möglichen Gewalttod, weil ich eine jüdische Mutter hatte, war, ist und wird das Schlüsselerlebnis meines Daseins bleiben.“

Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitet Ralph Giordano als Journalist bei der „Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung“, danach absolviert er eine journalistische Ausbildung. Von 1946 bis 1957 ist er KPD-Mitglied, 1955 geht er in die DDR, um nach neun Monaten ernüchtert nach Hamburg zurückzukehren. 1961 veröffentlicht er das Buch „Die Partei hat immer recht“, in dem er mit dem Stalinismus abrechnet. Er beobachtet die NS-Prozesse und produziert von 1961 bis 1988 als Fernsehjournalist über hundert Dokumentationen, in denen er Themen wie den deutschen Kolonialismus und den Völkermord an den Armeniern behandelt.

1982 veröffentlicht Ralph Giordano die autobiografische Erzählung „Die Bertinis“, an der er fast vierzig Jahre arbeitet und die sich nicht nur in Deutschland zum Bestseller entwickelt. 1988 wird die Geschichte fürs deutsche Fernsehen verfilmt. 1987 erscheint sein Buch „Die zweite Schuld oder Von der Last, Deutscher zu sein“, in dem Ralph Giordano sich mit dem Fortbestehen des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik Deutschland auseinandersetzt und den Unwillen breiter Teile der deutschen Öffentlichkeit zu einer Aufarbeitung der Verbrechen und Entschädigung der Opfer thematisiert. Weitere Bücher von Ralph Giordano sind „Wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte“ (1989), „Wie kann diese Generation eigentlich noch atmen?“ (1990) und „Die Traditionslüge – Vom Kriegskult in der Bundeswehr“ (2002) – in dem Buch setzt sich Ralph Giordano mit den undemokratischen Wurzeln der Bundeswehr auseinander.

Nach zahlreichen fremdenfeindlichen Ausschreitungen im Deutschland der beginnenden neunziger Jahre schreibt Ralph Giordano ein „Offenes Telegramm“ an den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl, in dem er erklärt, im Notfall mit Waffengewalt gegen militanten Rechtsextremismus vorzugehen, da die Regierung offensichtlich nicht bereit sei, Minderheiten zu schützen – dies führt zu einer heftigen öffentlichen Debatte.

Umstritten sind Ralph Giordanos Äußerungen zum Islam – 2010 kritisiert er die positive Haltung des damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff zum Islam, er protestiert gegen den Bau einer Moschee im Kölner Stadtteil Ehrenfeld und erklärt die Lehren des Korans als mit dem Grundgesetz unvereinbar.

Für sein soziales Engagement und seine publizistische Arbeit wird Ralph Giordano mit zahlreichen Auszeichnungen geehrt – darunter das „Bundesverdienstkreuz“, der „Heinz-Galinski-Preis“, der „Leo-Baeck-Preis“, mehrere „Grimme-Preise“ sowie der „Ehrenpreis der Deutsch-Israelischen Gesellschaft der Stadt Aachen“.

Alljährlich wird am 27. Januar – dem Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus – der nach Ralph Giordanos Erfolgsroman benannte „Bertini-Preis“ für Zivilcourage verliehen.

Ralph Giordano ist dreimal verheiratet – bis zu deren Tod 1984 mit Helga Giordano, von 1987 bis 1988 mit Tanja Giordano und von 1994 bis zu deren Tod 2002 mit Roswitha Giordano.

Bei einem Festakt zu seinem neunzigsten Geburtstag sagt Ralph Giordano 2013: „Ob Christ oder Moslem, links oder rechts, Gläubiger oder Atheist, wer die Demokratie beschädigt, der kriegt es mit mir zu tun. Das ist mein politisches Testament.“

„Mein Energiehaushalt, mein Kräftepotenzial ist reduziert, das spüre ich deutlich“, sagt Ralph Giordano in einem letzten Interview – hinter ihm liegt eine „ungeheure Strecke“ und ein „mörderisches Jahrhundert“.

Ralph Giordano stirbt mit einundneunzig Jahren am 10. Dezember 2014 in einem Kölner Krankenhaus.