Mit mitreißender Vitalität und bestechendem Charme avanciert Gret Palucca im vergangenen Jahrhundert zur international gefeierten Tänzerin, in ihren Auftritten setzt sie den häufig dramatischen Inhalten des Ausdruckstanzes Witz und Ironie entgegen. Heute gilt die sprunggewaltige und koboldhafte Künstlerin zu den bedeutendsten Interpretinnen des modernen Tanzes
Margarete Paluka kommt am 8. Januar 1902 als Tochter des aus Konstantinopel stammenden Apothekers Max Paluka und seiner jüdisch-ungarischstämmigen Frau Rosa Paluka in München zur Welt. Kurz nach ihrer Geburt zieht die Familie nach San Francisco – 1909 kehrt Gret Palucca mit ihrer Mutter nach Deutschland zurück und lässt sich in Dresden nieder. In der sächsischen Hauptstadt besucht sie die Lehr- und Erziehungsanstalt für Mädchen höherer Stände und in Plauen im Vogtland die Höhere Mädchenschule. Nebenher erhält sie von 1914 bis 1916 Ballettunterricht bei Heinrich Kröller, wird jedoch bald entlassen – an der Ballettschule muss sie hören: „Du bist total unbegabt, hör auf!“. Es ist jedoch das Korsett des festgelegten Bewegungsapparates, welches Gret Palucca zu eng ist. In Dresden kommt sie als eine der ersten Schülerinnen von Mary Wigman zum modernen Ausdruckstanz – „Ich fühlte mich befreit und entdeckte mich neu“. 1921 ändert sie ihren Namen in „Gret Palucca“ und startet ihre vielversprechende Solokarriere.
Bereits als Dreiundzwanzigjährige steht Gret Palucca ohne Familie da – ihr Vater fällt im Ersten Weltkrieg, ihr sechzehnjähriger Bruder kommt unter ungeklärten Umständen ums Leben und ihre Mutter begeht 1925 Selbstmord. Von 1924 bis 1930 ist Gret Palucca mit Fritz Bienert – dem Besitzer eines Plauener Mühlenbetriebes – verheiratet. Er ist der Sohn von Ida Bienert, der ersten privaten Kunstsammlerin der Modernen Kunst in Deutschland. In seinem Haus empfängt das Ehepaar die Architekten des jungen Bauhauses und zahlreiche moderne Künstler wie Paul Klee, Lionel Feininger und Wassili Kandinsky, die sich vom Tanz Gret Paluccas inspirieren lassen. Die Sommerurlaube verbringt die Tänzerin mit ihrem Mann regelmäßig auf der Nordseeinsel Sylt.
Gret Palucca gibt in zahlreichen Städten umjubelte Vorstellungen – nach einem Auftritt in Dessau ist man sich darüber einig, dass ihr Auftritt eines der stärksten künstlerischen Erlebnisse gewesen ist, in Mannheim bezeichnet man sie als „Tanzwunder“. Ihr erstes Auslandsgastspiel findet 1928 im Zürcher Schauspielhaus statt, auch tritt sie in Basel, Bern, Budapest, Davos, Lodz, Luxemburg, Oslo, Paris, Wien, St. Gallen und Stockholm auf.
Bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin nimmt Gret Palucca am Eröffnungsabend an der Seite von Leni Riefenstahl mit eigenen Beiträgen teil. Bis 1939 kann sie ungehindert arbeiten und hat zahlreiche Auftritte, aber schon bald verbieten ihr die nationalsozialistischen Behörden sämtliche Vorführungen in allen öffentlichen Theatern und Konzertsälen und zwingen sie, ihre 1925 in Dresden eröffnete Tanzschule zu schließen. Gret Palucca darf als sogenannte „Halbjüdin“ daraufhin nur noch auf privaten Abenden auftreten, was ihr jedoch unter Androhung von KZ-Haft später verboten wird, auch die Presse darf ihre Auftritte nicht mehr positiv besprechen. In den Dresdner Bombennächten von 1945 verliert Gret Palucca ihre Wohn- und Arbeitsräume sowie ihren gesamten Besitz.
Schon 1945 eröffnet Gret Palucca erneut ihre Dresdner Tanzschule, 1949 wird diese vom DDR-Regime verstaatlicht. Der Ausdruckstanz entspricht nicht dem neuen Geist der Zeit, doch die Tänzerin versucht unter dem Begriff „Neuer Künstlerischer Tanz“ ihre Ausrichtung auf dem Lehrplan beizubehalten. 1950 findet Gret Paluccas Tanzkarriere ein jähes Ende – bei einem Autounfall wird sie durch die Frontscheibe geschleudert und muss sich mehreren Operationen unterziehen. Der Arzt verbietet ihr das Auftreten und jegliche Tätigkeit auf der Bühne, für die Tänzerin beginnt ein zweites Leben als Pädagogin. Nach Verhandlungen mit der DDR-Regierung erhält sie die künstlerische Leitung der Dresdner Tanzschule zugesichert sowie eine Professur, einen Wagen mit Chauffeur und ein Grundstück auf der Ostseeinsel Hiddensee. Von 1965 bis 1970 ist Gret Palucca Vizepräsidentin der „Deutschen Akademie der Künste“ in Ost-Berlin. Ihren letzten Solo-Auftritt gibt Gret Palucca zum fünfundsiebzigsten Geburtstag von Wilhelm Pieck, 1991 unterrichtet sie ein letztes Mal an ihrer Schule.
Für ihr künstlerisches Schaffen wird Gret Palucca mit unzähligen Auszeichnungen geehrt – unter anderem wird ihr der „Vaterländische Verdienstorden in Gold“ und der „Nationalpreis der DDR“ verliehen. 1979 ernennt man sie zur „Ehrenbürgerin der Stadt Dresden“. 1980 erhält Gret Palucca den „Stern der Völkerfreundschaft“, 1983 den „Deutschen Tanzpreis“ und 1992 das „Große Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband der Bundesrepublik Deutschland“.
Gret Palucca stirbt am 22. März 1993 in Dresden und wird auf ihren Wunsch auf der Insel Hiddensee beigesetzt.
Ihre langjährigen Gastgeber bei ihren Sommerurlauben in List auf Sylt benennen in den frühen sechziger Jahren ihr erstes Ausflugsschiff nach ihr – noch heute fährt dort ein Ausflugskutter unter dem Namen „Gret Palucca“.