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Helmut Schmidt

Er ist Staatsmann, Publizist und Weltökonom und lenkt als fünfter Kanzler der Bundesrepublik Deutschland die Geschicke des Landes – nach dem Ende seiner Amtszeit avanciert er zum Übervater der Nation. Kein anderer Nachkriegspolitiker genießt so viel Ansehen wie Helmut Schmidt – von manchen als arrogant und kaltschnäuzig bezeichnet, gilt der „Hanseat par excellence“ den meisten Deutschen als moralische Instanz, noch im hohen Alter mischt er sich unprätentiös in aktuelle Debatten ein und analysiert das politische Geschehen stets mit Weitsicht und glasklarem Verstand

Helmut Schmidt auf einem SPD-Parteitag in Dortmund 1976, Foto: Bundesarchiv

Helmut Heinrich Waldemar Schmidt kommt am 23. Dezember 1918 im Hamburger Stadtteil Barmbek als Sohn des Studienrats Gustav Schmidt und dessen Frau Ludovika zur Welt. Sein Großvater Ludwig Gumpel ist jüdischer Abstammung – dies vertuscht sein Vater während des Nationalsozialismus durch Urkundenfälschung, damit den Söhnen der „Ariernachweis“ erteilt wird. Helmut Schmidt und sein Bruder Wolfgang besuchen in Hamburg die Volksschule Wallstraße und danach die Lichtwarkschule in Hamburg-Winterhude, wo er 1937 sein Abitur ablegt.

1939 wird Helmut Schmidt zum Wehrdienst eingezogen – als Offizier der Ostfront ist er unter anderem an der Leningrader Blockade beteiligt. Als Referent im Berliner Reichsluftfahrt-Ministerium wird er als Zuschauer zu den Schauprozessen des Volksgerichtshofes gegen die Männer des Attentats vom 20. Juli 1944 abkommandiert – angewidert vom vorsitzenden Richter Roland Freisler lässt er sich von der Zuhörerschaft entbinden. Kurz vor Kriegsende äußert er sich an der Westfront kritisch über das NS-Regime – ein Führungsoffizier will ihn vor Gericht stellen. Ein Prozess wird jedoch verhindert, weil ihm zwei vorgesetzte Generäle durch ständige Versetzungen dem Zugriff der Justiz entziehen.

1942 heiratet Helmut Schmidt im niedersächsischen Hambergen seine Schulfreundin Hannelore „Loki“ Glaser – aus der Ehe gehen zwei Kinder hervor. Der behindert geborene Sohn Helmut Walter verstirbt noch vor seinem ersten Geburtstag, Tochter Susanne kommt 1947 in Hamburg zur Welt.

1945 gerät Helmut Schmidt in britische Kriegsgefangenschaft, danach studiert er in Hamburg Volkswirtschaftslehre und beendet sein Studium 1949 als Diplom-Volkswirt. Bis 1953 ist er bei der Hamburger Behörde für Wirtschaft und Verkehr tätig. Er tritt in die SPD ein, wo er sich zunächst im Sozialistischen Deutschen Studentenbund engagiert. Von 1968 bis 1984 ist Helmut Schmidt stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD. Anders als die beiden anderen sozialdemokratischen deutschen Bundeskanzler Willy Brandt und Gerhard Schröder ist er nie Bundesvorsitzender seiner Partei.

Vom 1961 bis 1965 amtiert Helmut Schmidt als Hamburger Innensenator – während der Sturmflut 1962 erlangt er als Krisenmanager bundesweite Popularität. Er koordiniert den Großeinsatz von Rettungsdiensten und Katastrophenschutz ohne durch gesetzliche Grundlagen legitimiert zu sein. Er nutzt bestehende Kontakte zur Bundeswehr und NATO, um schnelle und umfassende Hilfe zu ermöglichen. Dadurch schafft er ein Vorbild für Einsätze von Bundeswehr und Militärressourcen im Inland im Rahmen von Amts- und Nothilfe bei Naturkatastrophen – „Ich habe das Grundgesetz nicht angeguckt in jenen Tagen“ so Helmut Schmidt in einem Interview. Sein beherztes Handeln machen ihn zu einem der ersten Anwärter seiner Partei auf höhere Regierungsaufgaben in der Bundespolitik.

Von 1967 bis 1969 ist Helmut Schmidt Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, von 1969 bis 1972 Verteidigungsminister, 1972 Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen und von 1972 bis 1974 Bundesminister der Finanzen. Nach dem Rücktritt Willy Brandts als Regierungschef wählt der Bundestag Helmut Schmidt 1974 zum fünften Kanzler der Bundesrepublik. In seine Amtszeit fallen die weltweite Wirtschaftsrezession, der Terrorismus der „RAF“ („Rote Armee Fraktion“) und die Ölkrise, die die Bundesrepublik unter seiner Führung besser übersteht als andere Industriestaaten.

Mit dem französischen Staatspräsidenten Valéry Giscard d’Estaing verbessert Helmut Schmidt die deutsch-französischen Beziehungen und verwirklicht entscheidende Schritte hin zur europäischen Integration. Die Einführung des Europäischen Währungssystems und der Europäischen Währungseinheit – aus denen später der Euro entsteht – geht auf eine Idee der beiden Staatsmänner zurück.

Mit Nachdruck weist Helmut Schmidt auf die Gefahren für das Rüstungsgleichgewicht durch neue sowjetische Mittelstreckenraketen hin – der NATO-Doppelbeschluss, der die Aufstellung von Mittelstreckenraketen in Westeuropa vorsieht, ist in der Bevölkerung sehr umstritten. Aus der Protestbewegung gegen den NATO-Doppelbeschluss geht gegen Ende von Helmut Schmidts Amtszeit die Partei der Grünen hervor.

1982 scheitert die von Helmut Schmidt geführte sozialliberale Koalition – sämtliche FDP-Bundesminister treten zurück. Durch ein konstruktives Misstrauensvotum wird Helmut Kohl zu seinem Nachfolger ins Amt des Bundeskanzlers gewählt.

Helmut Schmidt wird während seiner politisch aktiven Zeit wegen seiner Eloquenz von Gegnern auch „Schmidt Schnauze“ genannt. Sein ökonomischer Sachverstand findet breite Anerkennung, er befasst sich intensiv mit Fragen der Nuklearstrategie und gilt als Kenner und ausgewiesener Experte auf diesem Gebiet. Als Gegner des Atomausstiegs hält er die Ablehnung der Kernenergie in der deutschen Bevölkerung für ein Produkt der aus Zweitem Weltkrieg und dem Holocaust hervorgegangenen deutschen Angst vor Veränderungen. Die multikulturelle Gesellschaft bezeichnet er als „eine Illusion von Intellektuellen“, auch ist er ein Gegner des Beitritts der Türkei zur EU. Er beklagt eine übermäßige deutsche „Regulierungswut“ und stellt bei der staatlichen Exekutive eine ausgeprägte „Paragraphengläubigkeit“ fest. Als größte internationale Herausforderung der Zukunft bezeichnet Helmut Schmidt die globale Bevölkerungsexplosion sowie die Bewältigung von Ernährungs-, Energie- und Umweltschutzfragen.

Von 1983 bis zu seinem Tod ist Helmut Schmidt Mitherausgeber der Wochenzeitung „Die Zeit“, er ist Mitglied des Vereins „Atlantik-Brücke“ und Ehrenpräsident der „Deutsch-Britischen Gesellschaft“ sowie Gründer und Ehrenvorsitzender der „Deutschen Nationalstiftung“.

Helmut Schmidt zählt den früheren US-Außenminister Henry Kissinger, den ermordeten ägyptischen Präsidenten Anwar as-Sadat und den ehemaligen französischen Staatspräsidenten Valéry Giscard d’Estaing zu seinen politischen Freunden. Mit dem verstorbenen Philosophen Karl Popper steht er jahrelang in engem Briefkontakt.

Helmut Schmidt ist leidenschaftlicher Raucher – seine Kolumne „Auf eine Zigarette“ der Wochenzeitung „Die Zeit“ ist legendär. Als einziger Person der deutschen Öffentlichkeit darf er sogar während Fernsehübertragungen rauchen, was ihm nicht wenige Bundesbürger ankreiden – aktuelle Rauchverbote hält er für eine vorübergehende gesellschaftliche Erscheinung.

Helmut Schmidt lebt bis zu seinem Tod in einem Reihenhaus im Hamburger Stadtteil Langenhorn – einen Zweitwohnsitz hat er am holsteinischen Brahmsee. Beide Häuser beherbergen zahlreiche Bilder und Grafiken diverser Künstler. Nach dem Tod von Loki Schmidt im Jahr 2010 wird seine ehemalige Mitarbeiterin Ruth Loah seine neue Lebensgefährtin. Musisch sehr begabt spielt Helmut Schmidt Orgel und Klavier und schätzt insbesondere die Musik von Johann Sebastian Bach – auch nimmt er mehrere Schallplatten auf, auf denen er gemeinsam mit den Pianisten Christoph Eschenbach und Justus Frantz als Interpret der Werke klassischer Komponisten zu hören ist.

Helmut Schmidt bezeichnet sich als nicht religiös, sei aber auch kein Atheist – er vertraue nicht auf Gott, unter anderem weil Gott Auschwitz zugelassen habe. Auf die an ihn gestellte Frage, ob er das Amt des Bundeskanzlers gerne ausgeübt habe, antwortet er: „Eigentlich nicht, es war eine sehr große Belastung vor allem für das Privatleben“.

Im Laufe seines Lebens wird Helmut Schmidt mit unzähligen Auszeichnungen geehrt – unter anderem ist er Ehrenbürger seiner Heimatstadt Hamburg und des Bundeslandes Schleswig-Holstein, 1983 wird er zum Ehrensenator der Universität Hamburg ernannt. Für sein Krisenmanagement in der Zeit des „RAF“-Terrors wird ihm 1978 der „Theodor-Heuss-Preis“ und im selben Jahr der „Friedenspreis der Louise-Weiß-Stiftung“ in Straßburg überreicht.

Insgesamt verfügt Helmut Schmidt über dreißig Ehrendoktortitel – darunter die der britischen Universitäten Oxford und Cambridge, der Pariser Sorbonne und der amerikanischen Harvard-University. 1979 erhält er den „Europa-Preis für Staatskunst“ und 1980 die „Goldman-Medaille“ für seinen Einsatz um Frieden und Menschenrechte. Den „Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland“ lehnt Helmut Schmidt nach alter hanseatischer Tradition ab. 2003 wird die Hamburger Universität der Bundeswehr in Helmut-Schmidt-Universität umbenannt. 2006 wird ihm im Auswärtigen Amt in Berlin zusammen mit dem ehemaligen französischen Staatspräsident Valéry Giscard d’Estaing der „Adenauer-de Gaulle-Preis“ für sein Wirken um die deutsch-französische Zusammenarbeit verliehen. 2010 erhält Helmut Schmidt den „Henri-Nannen-Preis“ für sein publizistisches Lebenswerk.

Helmut Schmidt stirbt am 10. November 2015 im Alter von sechsundneunzig Jahren in seinem Haus in Hamburg-Langenhorn. Mit einem Staatsakt in der Hamburger St. Michaeliskirche verabschiedet sich Deutschland am 23. November 2015 im Beisein der gesamten politischen Elite von dem ehemaligen Bundeskanzler – Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz bezeichnet ihn als einen „Staatsmann im eigentlichen Sinn des Wortes“ und sagt: „Wir alle verlieren einen wichtigen Wegbegleiter. Er hat vorgelebt, wie anständige und vernünftige Politik aussieht. Seine Geradlinigkeit hat Vertrauen erzeugt und ihn zum Vorbild für viele gemacht.“