Als Mutter der Nation spielt sich die streitbare Charakterschauspielerin im vergangenen Jahrhundert in die Herzen ihrer zahlreichen Fans – durch ihre Rolle der resoluten Matriarchin in „Die Unverbesserlichen“ avanciert Inge Meysel zu den beliebtesten Darstellerinnen des Landes. Zeitlebens nimmt die populäre Volksschauspielerin kein Blatt vor den Mund, immer wieder äußert sie sich zu gesellschaftlichen Themen und setzt sich vehement für sozial Benachteiligte ein
Ingeborg Charlotte Meysel kommt am 30. Mai 1910 als Tochter des jüdischen Kaufmanns Julius Meysel und seiner dänischen Frau Margarete Hansen in Rixdorf bei Berlin – heute Berlin-Neukölln – zur Welt. Schon als Dreijährige hat sie in der Oper „Hänsel und Gretel“ einen Auftritt als Engel, mit vier Jahren erhält sie Ballettunterricht und mit Sechzehn sammelt sie erste Erfahrungen am Schultheater. Kurz vor dem Abitur verlässt sie die Schule und absolviert an der Berliner Schauspielschule von Ilka Grüning und Lucie Höflich ihre Schauspielausbildung.
1930 debütiert Inge Meysel in Zwickau in der Erstaufführung von Penzoldts „Etienne und Louise“. Wegen der jüdischen Abstammung ihres Vaters wird Inge Meysel ab 1935 bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges mit einem Berufsverbot belegt. Sie geht nach Danzig und arbeitet zunächst als Telefonistin und technische Zeichnerin. Ihr Vater übersteht die Zeit des Nationalsozialismus in einem Kellerversteck.
1945 kommt Inge Meysel zu Willy Maertens ans Hamburger Thalia Theater, wo sie bis 1955 in zahlreichen Boulevardstücken mit Vorliebe als Salondame besetzt wird. Als eindrucksvolle Charakterdarstellerin brilliert sie in den folgenden Jahren auf diversen deutschsprachigen Bühnen in Stücken von John Priestley und Tennessee Williams – auch begeistert sie in Gerhart Hauptmanns „Der Biberpelz“ und in „Die Ratten“. Anfang der fünfziger Jahre kann man Inge Meysel in ihrem ersten Film „Skandal um Peggy“ sehen, doch erst mit dem Einzug des Fernsehens gewinnt ihre Karriere an Fahrt.
Die Rolle der Portiersfrau Anni Wiesner im Berliner Volksstück „Fenster zum Flur“ drückt ihr 1959 den Beinamen „Mutter der Nation“ auf. Bekannt wird Inge Meysel dann vor allem als Käthe Scholz in der populären Fernsehserie „Die Unverbesserlichen“ (1965-1971). Dort kämpft sie in Kittelschürze und mit großer Klappe gegen die Widrigkeiten des Alltags. In den folgenden Jahren spielt Inge Meysel in zahlreichen Fernsehproduktionen Frauenfiguren, mit denen sich jede Durchschnittsdeutsche identifizieren kann – sie agiert als Putzfrau, als Frau von Welt und als betrogene Gattin, man kann sie aber auch in zwiespältigen oder unsympathischen Charakteren als hinterhältige Mörderin und Kleinkriminelle erleben.
Auf der Kino-Leinwand ist Inge Meysel nur selten zu sehen – 1947 verpflichtet sie Wolfgang Liebeneiner für den Film „Liebe 47“ nach Wolfgang Borcherts Drama „Draußen vor der Tür“, Helmut Käutner besetzt sie neben Curd Jürgens und Marianne Koch in „Des Teufels General“ (1955) und in Wolfgang Staudtes „Rosen für den Staatsanwalt“ (1959) mimt sie an der Seite von Nadja Tiller ein Hausmädchen.
Neben ihrer schauspielerischen Tätigkeit gilt Inge Meysel als unerschütterliche und scharfzüngige Kämpferin. Ihren ersten politischen Auftritt hat sie bereits 1925 mit einer Rede gegen die Todesstrafe auf einer Kundgebung der Berliner Jungdemokraten. Engagiert geht sie 1978 zusammen mit Alice Schwarzer gegen die „Darstellung der Frau als bloßes Sexualobjekt“ im Magazin „Stern“ gerichtlich vor. Mit anderen prominenten Frauen bekennt sie sich, abgetrieben zu haben und protestiert gegen den Paragraphen 218 – auch wendet sie sich gegen die Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Beziehungen, setzt sich für Aids-Kranke ein und spricht offen über eigene sexuelle Erfahrungen mit Frauen. Sie engagiert sie sich bis zu ihrem Tod in der „Deutschen Gesellschaft für humanes Sterben“ und kokettiert in Talkshows damit, stets eine Giftpille bei sich zu führen. Politisch unterstützt sie die SPD und setzt sich beim Bundestagswahlkampf 1972 für Willy Brandt ein.
Im Laufe ihrer langen Karriere wird Inge Meysel mit unzähligen Auszeichnungen geehrt – von 1961 bis 1971 erhält sie neunmal den „Otto“ der Zeitschrift Bravo, dazu kommen fünf „Goldene Bambis“ und 1965 die „Goldene Kamera“. Die Annahme des „Bundesverdienstkreuzes“ lehnt sie 1981 in guter hanseatischer Tradition ab. Für ihr Lebenswerk wird sie 1995 mit dem „Telestar“ und 2000 mit dem „Ehrenpreis des Deutschen Fernsehpreises“ ausgezeichnet. 1991 veröffentlicht Inge Meysel ihre Biografie „Frei heraus – mein Leben“.
Ihren letzten Fernsehauftritt hat Inge Meysel 2004 in einer Folge der Krimireihe „Polizeiruf 110″ als resolute Oma Kampnagel.
Inge Meysel stirbt am 10. Juli 2004 im Alter von vierundneunzig Jahren an einem Herzstillstand in ihrem Haus im niedersächsischen Bullenhausen. Ihre Urne wird unter großer Anteilnahme der Öffentlichkeit auf dem Hamburger Hauptfriedhof Ohlsdorf im Grab neben ihrem verstorbenen Ehemann John Olden – mit dem sie seit 1956 bis zu seinem Tod verheiratet ist – beigesetzt. Unter den Trauergästen befinden sich zahlreiche Weggefährten, Freunde und Schauspielerkollegen.
2014 wird am langjährigen Wohnhaus von Inge Meysel in Berlin-Schöneberg eine Gedenktafel angebracht.