Er gehört zu den herausragenden Protagonisten des französischen Chansons und macht sich auch als Schauspieler einen Namen – Charles Aznavour schreibt in seiner über fünfzigjährigen Laufbahn über tausend Lieder, er gilt international als bekanntester Sänger Frankreichs und ist gegenwärtig der letzte noch Lebende der großen französischen Chanson-Interpreten
Charles Aznavour wird als Schahnur Waghinak Asnawurjan am 22. Mai 1924 in Paris geboren. Seine Eltern – der Vater ist Operettensänger, die Mutter eine ehemalige Schauspielerin – fliehen wenige Jahre zuvor aus ihrer armenischen Heimat nach Frankreich. Mit Hilfe des Großvaters, der vor dem Ersten Weltkrieg einer der Küchenchefs des russischen Zaren ist, führen Misha und Knar Aznavourian ein Restaurant in Paris. Die Familie lebt in Armut, denn nur wenig Gäste – meistens armenische Immigranten – sind in der Lage zu bezahlen. Um einen Beitrag zum Familienunterhalt zu leisten, übernehmen Charles und seine Schwester Aida schon früh Kinderrollen am Theater und singen in den umliegenden Cafés und Bistros.
Mit neun Jahren steht der junge Charles Aznavour zum ersten Mal in „Un bon petit diable“ auf einer professionellen Theaterbühne. Als er in einem Café eine Platte von Maurice Chevalier hört, steht sein Berufswunsch fest – Chansonsänger. In einem Vorstadt-Variete hört ihn Mitte der vierziger Jahre Edith Piaf, die ihm Mut macht, ihm für seine Karriere die richtigen Ratschläge gibt und ihn 1950 als Pianist, Sekretär und Chauffeur engagiert. Während des Zweiten Weltkrieges und der deutschen Besatzung ist der Sänger in verschiedenen Berufen tätig – er schlägt sich als Zeitungsverkäufer durch, macht Schwarzmarkt-Geschäfte, spielt Theater und gibt Schauspielunterricht. Nach dem Ende des Krieges tritt er in Music-Halls und auf Kabarett-Bühnen als Chanteur und Schauspieler auf und schreibt für Maurice Chevalier, Juliette Gréco, Gilbert Bécaud und Édith Piaf seine ersten Chansons.
Zu Beginn der fünfziger Jahre ist Charles Aznavour zunächst als Sänger in Marokko erfolgreich – sein erster großer Hit gelingt ihm 1954 mit „Sur ma vie“. Wenige Jahre später ist er in ganz Frankreich bekannt, gibt erfolgreiche Konzerte in Paris – unter anderem im berühmten Olympia – tourt bald rund um den Globus und feiert für Jahrzehnte einen Triumph nach dem anderen. Seine Lieder – die er auch auf englisch, deutsch und italienisch aufnimmt – werden von den großen Stars jener Tage übernommen. Ray Charles singt „La Mamma“, Fred Astaire bringt eine eigene Version von „Les plaisirs démodés“ heraus und Bing Crosby veröffentlicht „Hier encore“.
Charles Aznavour singt von Tristesse und Trostlosigkeit des täglichen Lebens, aber auch von der Liebe – er spricht die Alltagssprache des kleinen Mannes und kennt keine falsche Sentimentalität. „Wie bringt er es nur fertig, den Menschen eine unglückliche Liebe sympathisch zu machen?“ sagt Jean Cocteau über den Sänger, „vor ihm war Verzweiflung nicht volkstümlich. Durch ihn wird sie es.“ Zu den bekanntesten Chansons von Charles Aznavour gehören „La Bohème“, „La Mamma“, „Que c’est triste Venise“, „She“, „Mourir d’aimer“, „Paris au mois d’août“, „Je m’voyais déjà“, „Les Comédiens“, „Tu t’laisses aller“, „Emmenez-moi“, „Comme ils disent“ und „Pour faire une jam“.
Schon in den dreißiger Jahren steht Charles Aznavour in kleinen Rollen vor der Filmkamera, so in „La guerre des gosses“ und „Les disparus de Saint-Agil“. Als Schauspieler wirkt der nur 1,62 große Sänger im Laufe seiner Karriere in diversen Filmen mit – unter anderem 1979 in der „Oscar“-prämierten Literatur-Verfilmung „Die Blechtrommel“ von Volker Schlöndorff an der Seite von Mario Adorf, David Bennent und Katharina Thalbach. Charles Aznavour spielt unter den großen französischen Regisseuren René Clair, Jean Cocteau, Claude Chabrol und François Truffaut. 1959 kann man ihn in „Le Testament d’Orphée“ („Das Testament des Orpheus“) sehen. Internationale Anerkennung erringt er 1960 in François Truffauts „Tirez sur le Pianiste“ („Schießen Sie auf den Pianisten“). In „Les Fantômes du Chapelier“ („Die Fantome des Hutmachers“, 1982) spielt er neben Michel Serrault und 2002 im beeindruckendem Drama „Ararat“, dass sich mit dem Völkermord an den Armeniern beschäftigt.
1967 heiratet Charles Aznavour die Schwedin Ulla Ingegerd Thorssel – das Paar hat mehrere Kinder. Charles Aznavour hat bereits aus seiner ersten Ehe eine Tochter.
1997 wird Charles Aznavour, der von allen französischen Chansoniers als der größte Romantiker gilt, für sein Lebenswerk mit einem Ehren-„César“ geehrt. „Für mich ist der Chanson wie eine Art Tango – vier Schritte zurück, zwei nach vorn. Als ich anfing, bestand die Musik für mich aus wild wirbelnden Walzern. Aber Schritt für Schritt wird man älter, und wenn man noch nicht Lust hat zu gehen, obwohl es ratsam wäre, muss man eben zum Tango übergehen“ sagt Charles Aznavour.
2006 geht Charles Aznavour auf eine große Abschiedstournee und 2014 gibt er – an seinem neunzigsten Geburtstag – nach mehr als einem Jahrzehnt erstmals wieder ein Konzert in Deutschland.
2009 wird Charles Aznavour zum armenischen Botschafter in der Schweiz ernannt. In Armenien wird der Sänger sehr verehrt – in der Hauptstadt Eriwan benennt man einen Platz nach ihm und verleiht ihm die armenische Staatsbürgerschaft. Charles Aznavour hat bereits vor Jahren eine Stiftung für humanitäre Hilfe in Armenien gegründet. Nach dem katastrophalen Erdbeben von 1988 ist er in dem Land seiner Vorväter trotz seines hohen Alters unermüdlich im Einsatz.